Lux et origo

„Licht und Ursprung des Lichtes” ist der Beginn eines mittelalterlichen Tropus zum Kyrie I der Vaticana (GL 113). Gerade in der dunklen Jahreszeit sehnt man sich nach Licht und Sonne. Deshalb war es früher ein großes Ereignis, wenn die Bauern ab Mariä Lichtmess (2. Februar) erstmals wieder mit ihrer Familie und dem Gesinde bei Tageslicht zu Abend essen konnten. Auf gut Schwäbisch: „Lichtmess – bei Daag z’Naacht ess“. Der Bestandteil Licht im Namen des Festes leitet sich von der zugehörigen Lichterprozession her.
Das Licht spielt auch am Fest der Erscheinung (6. Januar) eine große Rolle, wie man es bei verschiedenen Liedern im Gotteslob 2013 beobachten kann.

GL 159

Wenn man „Licht, das uns erschien“ (GL 159), eine aus Gotteslob 1975 bekannte Kyrie-Litanei, singen möchte, stellt man mit Erstaunen fest, dass die Litanei ein neues melodisches Gewand bekommen hat, das von dem mit Werken zum Neuen Geistlichen Lied bekannt gewordenen britischen Komponisten Alan Wilson geschneidert wurde. Offenbar traute aber die Gesangbuchkommission dem Produkt des Schneiders nicht ganz und verwies auf „Tau aus Himmelshöhn“ (GL 158) als Alternativmelodie. Das ist in der Tat die Melodie, wie sie im Gotteslob 1975 stand.

GL (129)

Diese Melodie hat Heinrich Rohr 1952 ursprünglich für ein Kyrie im Diözesangesangbuch Mainz (Nr. 106) komponiert. Den Text von Maria Luise Thurmair findet man  im selben Buch (Nr. 153,2).

Mainz 1952-106

Ihr musikalischer Rhythmus folgt mit seinem Alla-breve-Grundschlag in kongenialer Weise dem Textrhythmus der Kyrie-Litanei mit ihren Längen und Kürzen. Alan Wilson dagegen verbreitert das Tempo und dehnt willkürlich kurze Silben. Geradezu lächerlich bis peinlich wirken die Achtelketten bei „erbarme“, „Himmel“ und „Erde“. Im dritten Abschnitt stören vor allem die zwei Achtel auf den unbetonten Silben von „Herrlichkeit“ und „aller“. Bereits 1962 glaubte man in der Publikation „Singende Gemeinde II – Weihnachten und Epiphanie“ der Kyrie-Litanei eine „interessantere“ Melodie verpassen zu müssen.

SG II-25

Aha! „Resonet in laudibus“ (Singen wir mit Fröhlichkeit) lässt grüßen. Die walzerselige Schunkelmelodie könnte vom Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker inspiriert sein. Sie trifft aber absolut nicht den richtigen „Ton“ und wurde deshalb bei der Herausgabe des Gotteslob 1975 auch nicht berücksichtigt. Dieses Schicksal traf bei der Neuauflage 2013 leider auch die süddeutsch-österreichisch-alpenländische Weihnachts-Cantio „Singen wir mit Fröhlichkeit”, deren Text und Melodie aus dem fernen 14. Jahrhundert stammt. Stattdessen finden sich drei Sternsinger-Lieder aus heutiger Zeit. Der „Stern über Betlehem“ (GL 258) war bereits Gegenstand eines früheren Beitrags.

GL 259

„Gottes Stern, leuchte uns“ (GL 259) ist ein sehr schönes, schwungvolles Lied. Wenn man am Anfang auch noch über „Gottes Stern“ rätselt, dann ist spätestens bei den „Weisen“ in der zweiten Strophe klar, welcher Stern gemeint ist. Der Refrain mit dem Zitat der Magier „Wir haben seinen Stern gesehen“ (Mt 2,2) beseitigt die letzten Zweifel. Die Melodie fußt auf der Tradition des 18./19. Jahrhunderts und folgt genau dem Textverlauf. Zu kritisieren wäre vielleicht, dass sie zweimal zur Dominante moduliert. Aber dieser Umstand ist sicher dem Beginn des Refrains geschuldet, der raketenartig die C dur-Tonleiter hinaufjagt. Genau an dieser Stelle setzen aber meine Bedenken ein, wenn ich an die Sternsinger denke, die mir in diesem Jahr ihre Aufwartung machten. Wer kann diesen Refrain singen? Meine diesjährigen Sternsinger bestimmt nicht! Für die passt eher „Seht ihr unsern Stern dort stehen“ (GL 262), eine Parodie über „Engel auf den Feldern singen“ (GL 250).

GL 262

Die Melodie wäre den Sternsingern bereits bekannt und ihr spezielles Anliegen wird in der dritten Strophe explizit genannt: „sammeln Gaben, singen Lieder“. Allerdings kenne ich das nur in der umgekehrten Reihenfolge. Ohne Leistung keine Spende! Die zweite Strophe ist zwar zurzeit höchst aktuell, aber „ändern Welten ihren Lauf“? Die Formulierung der ersten Strophe „helles Licht in dunkler Nacht … hat er in die Welt gebracht“ ist übrigens auch im vorhergehenden Lied zu finden: „Aus Finsternis und dunkler Nacht hat Gott der Welt das Licht gebracht“. Auch in den Kyrie-Tropen findet man nicht nur im Tropus I Formulierungen mit „lux”. IV: „luxque perennis” (und ewiges Licht), V: „lux apparens in luce” (Licht, das sichtbar erscheint), VI: „lux oriens” (aufgehendes Licht), XI (GL 121): „qui lux es mundi” (du bist das Licht der Welt), XV: „lux de luce” (Licht vom Licht).

Anton Stingl jun.