Der jambische Fünfheber in Kirchenliedern

Der jambische Fünfheber ist ein aus fünf Jamben bestehendes Metrum. Er tritt im Deutschen ungereimt vornehmlich in der Bühnendichtung auf. In Kirchenliedern wird er äußerst selten verwendet, was wohl daran liegt, dass die Hauptbetonung in einer Zeile nicht immer bei derselben Hebung liegt. Bei Strophenliedern ist es aber dringend erforderlich, dass die Hauptbetonung immer an derselben Stelle sitzt. Wie im gegenteiligen Fall falsche Betonungen entstehen, wird an vier Liedern aus dem Gotteslob 2013 gezeigt.

1) Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (GL 422)

1. Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;
fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;
mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen. 

2. Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,
mein Unvergen hält mich ganz gefangen.
Hast du mit Namen mich in deine Hand,
in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben?
Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land?
Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen? 

3. Sprich du das Wort, das tröstet und befreit
und das mich führt in deinen großen Frieden.
Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt,
und lass mich unter deinen Kindern leben.
Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.
Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

Huub Oosterhuis wählte für sein Lied als Versmaß einen jambischen Fünfheber mit sechs Zeilen. Lothar Zenetti erreicht mit seiner Übersetzung eine fast vollkommene Übereinstimmung der Hauptbetonungen mit den entsprechenden Hebungen. In der ersten Zeile liegt die Hauptbetonung in allen drei Strophen auf der ersten Hebung, in den restlichen Zeilen auf der zweiten Hebung. Zu den wenigen Ausnahmen gehört in Strophe 2, Zeile 2 das Wort Unvermögen, das normalweise auf der ersten Silbe betont wird.  Durch die Korrektur ich bin gefangen in mein Unvermögen käme die Hauptbetonung auf die zweite Hebung zu liegen. Alex Stock begeht in seiner Übertragung aus der Sammlung der 100 Lieder und Gesänge von Osterhuis „Du Atem meiner Lieder“ denselben Fehler: mein Unvergen hält mich eingefangen. In Strophe 3, Zeile 4 liegt auf der Präposition unter bestimmt nicht die Hauptbetonung. Durch die Wortumstellung und unter deinen Kindern lass mich leben läge die Hauptbetonung wie in den anderen Strophen auf der zweiten Hebung. Hier setzt Stock mit einer ganz anderen Übertragung die Hauptbetonung auf dieselbe Hebung: verschwende menschenfreundlich deine Liebe.

2) Von guten Mächten treu und still umgeben

1. Von guten Mächten treu und still umgeben, (2)
betet und getröstet wunderbar,
(13)
so will ich diese Tage mit euch leben
(23)
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
(12)

2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
(2)
noch drückt uns ser Tage schwere Last.
(23)
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
(123)
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
(12)

3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
(12)
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
(12)
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
(123)
aus deiner guten und geliebten Hand.
(2)

4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
(13)
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
(23)
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
(13)
und dann gehört dir unser Leben ganz.
(2)

5. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
(12)
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
(23)
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
(2)
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
(13)

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
(2)
so lass uns ren jenen vollen Klang
(23)
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
(2)
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
(2)

7. Von guten Mächten wunderbar geborgen,
(2)
erwarten wir getrost, was kommen mag.
(13)
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
(2)
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
(2)

Der Kirchenmusiker Kurt Grahl verfasste seine Melodie (GL 430) unter unter der Annahme, dass in dem Text von Dietrich Bonhoeffer die Hauptbetonnung stets der zweiten Hebung liegt. Das erweist sich bis auf vier Stellen als richtig.
1,2:  behütet und getröstet wunderbar. Die Konjunktion und trägt hier keinen Hauptakzent. Mögliche Akzente sind betet oder getröstet.
4,3: dann wolln wir des Vergangenen gedenken. Der Artikel des trägt keinen Akzent. Die Hauptbetonung liegt beim Substantiv Vergangenen.
5,4: Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht. Auf dem Pronomen es liegt keine Hauptbetonung, die erst bei Licht zum Zuge kommt.
7,2: erwarten wir getrost, was kommen mag. Das Personalpronomen wir taugt nicht als Hauptbetonung, die erst bei getrost zu hören ist.

Die Verteilung der Taktstriche bei der Melodie von Grahl ist seltsam. Als wolle der Komponist seine rhythmisch richtige Vertonung des Textes verbergen, setzt er die Taktstriche vor die dritte Hebung. Sie müssten aber wegen der Hauptbetonung vor der zweiten Hebung stehen. In diesem Fall begänne die Melodie mit einem langen Auftakt und endete mit einer Halben.

Der Liedermacher Siegfried Fietz brachte 1970 zu Bonhoeffers Text eine Melodie heraus (GL FR/RS 775), die  unter der irrtümlichen Annahme steht, dass die Hauptbetonung stets auf der ersten Hebung liegt. Das hatte zur Folge, dass in sechzehn Fällen die Hauptbetonungen unter den Tisch fallen und damit der Sinn des Textes verfälscht wird. Ein weiteres Problem entsteht durch die zum Teil überlangen Pausen zwischen den Versen. Wenn die Melodie eines Verses mit einem kurzen Auftakt beginnt und mit einem zweisilbigen Wort endet, setzt der nächste Vers erst nach zwei Grundschlägen ein. Wenn der Vers mit einem einsilbigen Wort endet, sind es sogar vier Schläge. Grahl hat dieses Problem gelöst, indem er in den ersten drei Versen bei den  Hauptbetonungen und im letzten Vers bei der vorletzten Hebung zwei aufeinanderfolgende Notenwerte verdoppelte.

Im Evangelischen Gesangbuch steht eine Melodie von Otto Abel (EG 65). Durch geschickte Abwechslung von zwei Halben zwischen zwei oder vier Vierteln erreicht der Komponist eine fast vollkommene Übereinstimmung der Melodie mit den Hauptbetonungen. Problematisch ist nur wie bei Grahl in Strophe 4, Zeile 3: dann wolln wir des Vergangenen gedenken.

3) Für alle Heilgen in der Herrlichkeit (GL 548)

1. Für alle Heilgen in der Herrlichkeit,
die dich bezeugten in der Erdenzeit,
sei dir, o Jesu, Lob in Ewigkeit.
Halleluja, Halleluja!

2. Du warst ihr Fels, ihr Schutz und ihre Macht,
warst ihnen Trost und Licht in dunkler Nacht,
und hast zur ewgen Freude sie gebracht.

3. So lass auch uns, die noch auf Erden gehn,
fest wie die Heilgen unser Werk bestehn,
in deinem Kreuz den Kranz des Lebens sehn.

4. O Jesu, mach uns alle eins in dir!
Sie schon vollendet – angefochten wir;
doch alle dein, dich lobend dort und hier.

5. Dein Tag bricht an. Die Heilgen sind bereit,
geben dem Volk der Zeugen das Geleit,
und alle singen der Dreieinigkeit.

Die Übertragung des Textes „For all the Saints“ von William Walsham How (1864)  durch Günter Balders (1998) und Christoph Bächthold (2001) im jambischen Fünfheber ist fast perfekt gelungen. Mit einer einzigen Ausnahme sitzt die Hauptbetonung überall auf der zweiten Hebung. Nur in der 2. Strophe, Zeile 3 trägt das Adjektiv ewgen nicht die Hauptbetonung. Ausgerechnet an dieser Stelle markiert die Melodie von Ralph Vaughan Williams nach einem Quintsprung nach oben mit der Note c als punktierte Halbe eine sehr starke Betonung. Mit dem Korrekturvorschlag hast sie zur Freude ewiglich gebracht könnte man das bereinigen.

4) In dieser Nacht (GL 91)

1. In dieser Nacht,
sei du mir Schirm und Wacht;
o Gott, durch deine Macht
wollst mich bewahren
vor Sünd und Leid,
vor Satans List und Neid.
Hilf mir im letzten Streit,
in Todsgefahren.

2. O Jesu mein,
die heilgen Wunden dein
mir sollen Ruhstatt sein
für meine Seele.
In dieser Ruh
schließ mir die Augen zu;
den Leib und alles Gut
ich dir befehle.

3. O große Frau,
Maria, auf mich schau;
mein Herz ich dir vertrau
in meinem Schlafen.
Auch schütze mich,
Sankt Josef, väterlich.
Schutzengel, streit für mich
mit deinen Waffen.

Der Text des Liedes (Köln 1727) verwendet als Metrum einen jambischen Zweiheber, dem zwei Verse mit Dreiheber folgen, die mit dem ersten Vers durch einen Kettenreim verbunden sind. Mit dem vierten Vers, einem Zweiheber, wird die erste Strophenhälfte abgeschlossen. Die zweite gleichgebaute Strophenhälfte endet mit einem Vers, der denselben Reim wie in Vers 4 verwendet. Die Hauptbetonungen liegen bei den Zwei- bzw. Dreihebern jeweils auf der ersten Hebung. In der 2. Strophe, Zeile 3 kommen Zweifel auf, ob nicht Ruhstatt die Hauptbetonung trägt. Wenn man aber bedenkt, dass der dritte Vers die zweite weiterführt, erscheint „sollen“ doch als wichtiges Wort, das die beiden Verse verbindet. Im vorletzten Vers von Strophe 3 fällt „Schutzengel“ mit seiner Betonung auf der zweiten Silbe auf, der heutzutage auf der ersten Silbe betont wird. Die ältere gegenteilige Betonung findet man heute noch zum Beispiel im folgenden Gebet zum Schutzengel:

Heiliger Schutzengel mein,
lass mich dir empfohlen sein
in allen Nöten steh mir bei
und halte mich von Sünden frei.
An diesem Tag/In dieser Nacht, ich bitte dich,
erleuchte, führe, schütze mich.
Amen.

Hermann Kurzke bemängelt in „Die Lieder des Gotteslob“ (S. 591), dass in der Notation des Lieds in Gotteslob entgegen der ältesten Melodiequelle (Düsseldorf 1759) nicht nach jeder Zeile geatmet werden kann. In der Entstehungszeit wurde das Abendlied vermutlich viel langsamer gesungen als heute, somit waren Pausen nach jedem Vers vielleicht notwendig. Nachdem das Lied durch die katholische Jugendbewegung um 1920 weithin beliebt wurde, wo man es in einem rascheren Tempo sang, wurde es schließlich 1938 in „Kirchenlied“ mit der neuen Notation veröffentlicht, die jeweils einen Zwei- und einen Dreiheber  zu einem jambischen Fünfheber zusammenfasst, dem eine Pause folgt. Die zahlreichen Enjambements laden zu dieser Veränderung geradezu ein.

Der Text in Strophe 2, Zeile 3/4 und 7/8 hieß ursprünglich, so auch noch in Kirchenlied 1938:
mir sollen Ruhstatt sein, / das Bett der Seelen. – den Leib und alles tu / ich dir befehlen.
In den Einheitsliedern von 1947 wurde der Seele das Bett genommen:
mir sollen Ruhstatt sein für meine Seele. – den Leib und alles tu‘ ich dir befehlen.
Das Gotteslob 1975 korrigierte den unsauberen Reim und führte ein nicht näher zu bestimmendes „Gut“ ein:
mir sollen Ruhstatt sein für meine Seele. – den Leib und alles Gut ich dir befehle.
Hoffentlich hat die arme Seele jetzt endlich ihre Ruhe gefunden (Lukas 12, 19).

Ein weiteres Beispiel siehe in „Der Herr wird dich mit seiner Güte segnen“ (GL 452).

Anton Stingl jun.

Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht

Am 19. November 2021 war die Situation wie bei „Jesus Christ, you are my life“. Da an diesem Tag das Fest der Hl. Elisabeth von Thüringen gefeiert wurde, bat mich mein Pfarrer zehn Minuten vor dem Gottesdienst, zur Gabenbereitung  anstelle des vorgesehenen „Brich dem Hungrigen dein Brot“ (FR 740) das NGL „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht“ (GL 470) zu spielen. Da zu diesem Zeitpunkt keine Diskussion möglich war, erfüllte ich seinen Wunsch. Das Lied war bereits schon früher anlässlich der Beerdigung eines Pfarrers Gegenstand einer Auseinandersetzung. „Mit NGLs zum Exit“.

Der Text des „Elisabeth-Liedes“ wurde von dem Theologen Claus-Peter März 1981 für das Gedenkjahr an den 750. Todestag der heiligen Elisabeth anlässlich einer Wallfahrt zu den Stätten der Heiligen verfasst. In der ersten Strophe nimmt der Text konkret auf das sogenannte „Rosenwunder“ Bezug. Das Brot für die Armen in Elisabeths Korb verwandelte sich in Rosen, als sie ihrem Mann begegnete, der ihre Tätigkeit unter Strafe gestellt hatte. Die Geschichte wird auch im Zusammenhang mit ihrer Schwiegermutter erzählt. In der ersten Strophe ist das Brot, das als Rose blüht, der Anfang von Widersprüchen, für deren Auflösung im Refrain Gott sorgen wird. Das meint auch ein Lied aus dem 19. Jahrhundert: „Wirst ein Himmlisch Wesen / Wenn die Rosen blühn“. Ein weiterer Widerspruch ist das gesprochene Wort, das plötzlich als Lied erklingt.

Der Text am Anfang der zweiten Strophe Das Leid jedes Armen, das uns Christus zeigt, ist jedoch kein Widerspruch, sondern geht auf ein Bibelzitat (Mt 24,40) zurück: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. In der Fortsetzung wird dieses Zitat durch die Begriffe lindern und Freude auf die menschliche Ebene transponiert. In der dritten Strophe ist ein Kleid, das wir schenken auch uns selber bedeckt, physikalisch eigentlich nicht möglich. Wenn in der vierten Strophe der Schmerz, den wir teilen, zur Hoffnung wird, dann sagt uns heute die Psychologie, dass geteilte Erfahrungen nur intensiver werden. Die kühnste Behauptung aber liefert die fünfte Strophe wenn der Tod, den wir sterben, vom Leben singt. Das gilt wohl nur für Heilige, weshalb im Mittelalter Todestag der Heiligen als „dies natalis“, als Geburtstag zum ewigen Leben bezeichnet wurde.

Der Refrain nimmt Bezug auf Worte des Sehers Johannes: „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! […] Sie werden sein Angesicht schauen, und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben“ (Offb 21,3; 22,4) – dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut … ja, dann schauen wir heut sein Angesicht. Eine „Wohnung“ für Gott war offenbar  nicht angemessen, es musste ein ganzes Haus sein. Dass mit dem Wörtchen heut die Endzeit herbeigezaubert wird, ist typisch für den ganzen Text.

Da im Text alles möglich ist, und zum Nachdenken keine Zeit sein darf, musste die Melodie möglichst einfach sein, um zu einem Ohrwurm zu werden. Kurt Grahl gibt jedem Melodieteil mit viermal 11 Silben denselben Rhythmus, der bei drei Teilen um zwei Silben verkürzt erscheint. Kürzere und längere Abschnitte haben dieselbe Melodie, damit man sie sich leicht merken kann. Die 11-Silben-Teile enden mit einer Synkope aus der populären Musik, wie sie in Kirchenliedern der Zeit um 1981 noch nicht allgemein üblich war. Das Lied „Von guten Mächten“, der zweite Beitrag von Kurt Grahl im GL 430 aus dem Jahr 2005, gibt sich viel konservativer.

Das Dahinplätschern der Melodie wird durch die vorgesehene Akkordfolge nicht weiter gestört. In der letzten Zeile macht die Zwischendominante A als gängiger Organistenzwirn den Kohl auch nicht fett. Wie wäre es mit einer Mediante Es auf dem ersten Ton der letzten Zeile? Das würde am Ende endlich für Pfiff sorgen. Auf die Zwischendominante A könnte man dann verzichten.

Anton Stingl jun.

Seht, der Stein ist weggerückt

Seht der Stein ist weggerückt
nicht mehr wo er war
nichts ist mehr am alten Platz
nichts ist wo es war.

Seht das Grab ist nicht mehr Grab
tot ist nicht mehr tot
Ende ist nicht Ende mehr
nichts ist wie es war.

Seht der Herr erstand vom Tod
sucht ihn nicht mehr hier
geht mit ihm in alle Welt
er geht euch voraus.

Lothar Zenetti (1926−2019)

Seit dem Jahr 1971, als das Gedicht veröffentlicht wurde, gab es immer wieder Versuche, den Text vom leeren Grab in ein angemessenes musikalisches Gewand zu kleiden. Die erste Vertonung stammt vom Limburger  Kirchenmusikdirektor Karl Fink (1971) und erschien im Limburger Diözesananhang von 1975, ebenso im Schweizerischen Katholischen Gesangbuch (1998), sowie im Regionalteil des EG (Evangelische Kirche von Hessen und Nassau) und im Gesangbuch der reformierten Kirche. Mit weiteren Vertonungen beteiligten sich Herbert Beuerle („Liedersammlung zum Osterfestkreis III“), Heinz Martin Lonquich (1937–2014)  http://www.heinz-martin-lonquich.de/hoerproben/ Nr. 49, Kurt Grahl  http://www.kurt-grahl.de/SehtDerSteinIst.MP3 und der evangelische Pfarrer Christian Hählke aus dem Westerwald.

Keine dieser Melodien fand bei den Gemeinden allgemeine Verbreitung. Deshalb unternahm man im Zuge der Vorbereitungen zum Gotteslob 2013 neue Anläufe, um für den Text neue Gewänder zu schneidern.

Für den Eigenteil der Diözese Aachen (GL 766) hat Domorganist Michael Hoppe „den Text zu Musik gemacht. Der Jubel wird sinnlich spürbar. Vor allem aber schärfen die zahlreichen Synkopen und Vorhalte das Bewusstsein: Es ist nicht alles aus dem Lot, aber die Welt hat sich für immer verschoben.“ (Karl Allgaier)

Die Melodie von Bezirkskantor Franz-Josef Oestemer im Eigenteil Limburg (GL 783) „hat die dorische Tonart der bisherigen Vertonung von K. Fink übernommen. Darüber hinaus lehnt sich die Melodie an den Duktus zweier bekannter Ostergesänge an. Die Melodie zitiert zu Beginn das berühmte „Christ ist erstanden“, bei „weggerückt“ rückt auch die Melodie einen Ton nach unten. Die Ostersequenz „Victimae pascali laudes“ klingt in der 3. Zeile an: bei „Platz“ jedoch rückt die Melodie einen Ton nach oben und macht damit hörbar, dass nichts mehr am alten Platz ist und nichts mehr so klingt, wie es war. Das im Original einmalige Halleluja wird in der neuen Vertonung von Oestemer auf ein dreimaliges Halleluja erweitert. Dabei wird die Melodie des Anfangs wieder aufgegriffen und zum dorischen Abschluss geführt.“ (Carsten Igelbrink)

Für einen Überraschung sorgte der Eigenteil Mainz (GL 812). Hier wird auf die allererste Vertonung von Karl Fink zurückgegriffen.

Gotteslob Eigenteil Mainz Nr. 812

 „Die Atmosphäre der grundlegenden Veränderung von allem Gewohnten, kommt auch durch die Melodie zum Ausdruck, die der Komponist nicht im gewohnten Dur oder Moll, sondern ausschließlich modal (dorisch) – für heutige Ohren eher fremd wirkend – verfasst hat. Der Verlauf der Melodie und deren Rhythmik verdeutlichen die Bilder und den Sinnzusammenhang des Textes: Man kann geradezu hören, wie der Stein weggerückt wird, dass die Dinge nicht mehr so sind wie früher. Das gilt zunächst für die erste Phrase (Zeile 1-2) mit ihren rhythmischen Unregelmäßigkeiten und Intervallsprüngen. Die Melodie der zweiten Phrase (Zeile 3-4) setzt eine Quint höher ein und steigt in Sekundschritten zum Spitzenton an. Die Steigerung entspricht der Dynamik des Textes in der zweiten Strophenhälfte, in der das zuvor aufgerufene biblische Bild überschritten wird. Die dadurch entstehende Spannung löst sich zum Ende der absteigenden Phrase und schließlich im Hallelujaruf auf.“ (Annette Albert-Zerlik)

Als Alternative zu der im Gesangbuch der evangelisch-methodistischen Kirche abgedruckten Fassung von Karl Fink komponierte Pfarrer Andreas Wittkopf seine neue Melodie.

Andreas Wittkopf

Schließlich soll noch die Vertonung des Rottenburger Diözesanmusikdirektors Walter Hirt (H) im Eigenteil Freiburg/Rottenburg (GL 800) vorgestellt und mit der Melodie von Andreas Wittkopf (W) verglichen werden.

Gotteslob Eigenteil Freiburg/Rottenburg Nr. 800

H benötigt für eine Strophe nur 6 Takte gegenüber 8 Takten bei W. Die Vorgaben von Lother Zenetti sind zweimal 4 Hebungen mit 3 Senkungen und zweimal 3 Hebungen mit drei Senkungen, was zur Folge hat, dass nach der zweiten Zeile eine ganze Note oder eine halbe Note und eine Pause notwendig werden. Nach der vierten Zeile muss eine Verbindung zum Halleluja-Refrain gesucht werden. H lässt die Melodie auf der Quinte, der Dominante, enden, W schreibt einen Quartvorhalt, der sich zum Leitton öffnet. Um seine sparsame Melodieerfindung zu verbergen, „motzt“ W an vier Stellen der Strophe und an zwei Stellen des Refrains die Melodie durch Synkopen auf. H dagegen hat den Ehrgeiz, eine „richtige“ Komposition anzuliefern. Das Wort Seht  am Beginn jeder Strophe wird durch die Punktierung zum musikalischen Zeigefinger auf die anschließende rasante Mountainbike-Tour. Die Anfangsworte der zweiten und vierten Zeile werden in den vorherigen Takt gezogen, um das gesteckte Sparziel von sechs Takten zu erreichen. Im einzigen achtelfreien Takt hat H zum Ausgleich eine intonatorische Falle gestellt. Die Melodie moduliert hier von D-Dur über gis und ais nach h-Moll. Da h aber erst am Ende der Zeile erreicht werden darf, wird noch ein Umweg über cis und d in Kauf genommen. Der höchste Ton d wird effektvoll bei den Worten alten Platz, Ende mehr, alle Welt erreicht. Beim Halleluja-Refrain tobt sich H in zweimal vier Takten nun richtig aus. Das erste Halleluja endet mit der hebräischen Betonung auf der letzten Silbe, das zweite beginnt mit einem emphatischem Sextsprung und betont das Wort auch in den beiden folgenden Rufe wie im Lateinischen auf der zweiten Silbe. Durch die zusätzliche Wiederholung entsteht der Eindruck, dass der Refrain wichtiger ist als die Strophen. Ob das ein Gemeindelied ist, darf bezweifelt werden.  Selbst Profis haben mit der Luft zu kämpfen (Vgl. das Liedportrait von Meinrad Walter).  

„Vielleicht könnte eine Ausführung durch eine Solistin / einen Solisten oder eine Schola sinnvoll sein, vielleicht auch in Hinblick darauf, dass die rhythmischen und melodischen Besonderheiten für manche Gemeinden schwierig zu bewältigen sind“ (Annette Albert-Zerlik zur Melodie von Kurt Fink).

Meinrad Walter, Lied zum Sonntag „Seht, der Stein ist weggerückt“ https://www.swr.de/swr2/programm/lied-zum-sonntag-seht-der-stein-ist-weggerueckt/-/id=661104/did=23910364/nid=661104/a949nk/index.html

Vielleicht sollte der Text aus „Texte der Zuversicht“ von Lothar Zenetti doch lieber Text bleiben und als Predigttext, Oster- oder Gute-Nacht-Gruß seine Bestimmung finden.

Anton Stingl jun.